Das Spiel war alles, was ein gutes Marqin sein sollte: spannend, schnell, fensterreich und brutal. Die beiden Mannschaften nahmen sich nichts in den Schlägen, die sie austeilten oder einstecken mussten. das erste Zwanziger viel bereits Ende des ersten Viertels und wurde neben Gejubel auch mit einem großen Schluck aus einem nicht gekennzeichneten Krug für den Schützen belohnt. Dann wurde die Glocke geschlagen und die erste Pause begann. Die beiden Mannschaften zogen sich, sehr symbolisch, auf die Seiten zurück, die in Richtung des Zentrums ihres Stadtviertels lagen und ließen sich von Frauen, Freunden und Verehrern pflegen.
Einige Händler mit ihren Bauchkästen und Bollerwagen betraten das Spielfeld, um Würstchen, Schrippen und Bier zu verkaufen. In der Menge meinte Schramo auch einige Schnapsverkäufer ausmachen zu können, die vermutlich ein starkes und nahezu ungenießbares Gesöff unter der Hand verkauften, denn was für Gaststätten galt, hatte die Metrowacht auch für öffentliche Veranstaltungen durchgesetzt: Bier und Schnaps durften nicht gemeinsam verkauft werden!
Schramos Augen durchkämmten die Menge auf der Suche nach vertrauten Gesichtern. Dreimal meinte er einen alten Freund erkannt zu haben, aber sicher konnte er sich nicht sein.
Das zweite Viertel wurde eingeläutet. Einer der Spielleiter legte den Ball in die Mitte des Platz - Schramo konnte schon jetzt sehen, dass es später "Diskussionen" über seine Unparteilichkeit geben würde, lag der Ball doch schließlich näher an den Galgenbergern - dann wurde die Glocke ein zweites Mal geschlagen und die Feldspieler, 38 an der Zahl, stürmten auf ihn zu. Aber, Schramo bemerkte es mit Genugtuung, hier endete die Ähnlichkeit zu den gemeinen Marqinspielen, die sie auf den Straßen gespielt hatten, denn nicht einmal die Hälfte jeder Mannschaft stürmte tatsächlich bis zum Mittelpunkt. Die anderen verteilten sich weitläufig auf dem Platz, um die Flanken zu decken und die Verteidigung aufzubauen oder auch den Angriff besser unterstützen zu können. Das hier waren nicht die Gelegenheitsspieler. Das hier waren die besten der beiden Stadtteile, denen ihre Freunde und Kollegen Arbeit abnahmen, damit sie üben konnten.
Das hier waren die besten Spieler Xpochs, wenn nicht der ganzen Welt und Schramo hätte alles darum gegeben, zu ihnen gehören zu können, selbst nach der Beförderung. Selbst nachdem er immer wieder hatte feststellen müssen, dass er kein Talent für Marqin hatte.
Mittag war durch, als das zweite Viertel ausgeläutet wurde. Obwohl man durch den Nebel, der beständig über der Stadt lag, die Sonne nur sehr selten sehen konnte, wurde es langsam unangenehm warm auf dem Dach. Einige Zuschauer verließen umständlich den Platz, hauptsächlich Paare mit besser gekleideten Frauen. Schramo war es gewöhnt, in der Hitze mit zugeknöpftem Kragen zu stehen oder zu liegen, aber das Weibsvolk gehörte nicht in die pralle Sonne (wenn man es genau betrachtete, gehörte Weibsvolk nicht einmal zu einem Marqinspiel, aber seltsamerweise, wie Schramo fand, war die Moral in dieser Beziehung seltsam aufgeweicht).
Eine kleine Rauferei brach jetzt zwischen den Einwohnern der beiden Stadtviertel aus, bis sich schließlich ein Berti einmischte. Man sah gut, wie sich der hohe Raupenhelm durch die Menge fortbewegte und schließlich zwischen den beiden Parteien zu stehen kam. Einige rauhe Ermahnungen wurden gesprochen und die Sache beruhigte sich.
Abgelenkt von diesem Ereignis wäre ihm beinahe eine andere Unruhe am Norden des Platzes entgangen, dort wo sich immer auch ein paar Ingener einfanden. Ein Ort garantierten Ärgers. Niemand mochte sie, aber eine Schlägerei im Vorfeld des Spiels, wie gerade die Neustädter es gerne gesehen hätten, um die Ingener am Durchgang zu hindern, hätte allen nur die Stimmung verdorben und die Metrowacht hätte vermutlich das ganze Spiel gesperrt. Die Schlägereien nach dem Spiel hingegen gehörten einfach dazu. Schramo konnte gerade noch sehen, wie eine dreckige, keifende Frau von einem Mann weggezerrt wurde, der eher den Ruch eines Gelehrten hatte.
Die Metrowacht kümmerte sich nicht darum.
Das Dritte Viertel begann. Die Härte nahm zu, die Zuschauer johlten und klatschten. Schramo wurde es langsam müde, hier oben zu liegen und sich festzuklammern, ausserdem fürchtete er, dass über kurz oder lang die Bertis ihre Blicke nicht mehr von den Dächern abwenden würden und auch hier oben ihrer Pflicht nachkämmen. So selbstbewußt der neue Rang auch machte, ein Verweis durch die Metrowacht hatte auch folgen für einen Unteroffizier.
Das Spiel war seiner Meinung nach sowieso entschieden, auch wenn ein zwanziger noch mal alles herumreißen mochte. Die Galgenberger lagen 19 zu 10 in Führung und ganz im Gegensatz zu den Gräberfeldern, standen ihre besten Spieler noch auf dem Platz.
Schramo ließ sich langsam zurücksinken, ohne Rücksicht auf Schindeln, die sich lösen mochten. Wenn in Xpoch jemand bei so einem Spektakel nicht auch nach oben sah, dann war er schließlich selber Schuld, wenn ihm etwas auf den Kopf fiel.
Von der Dachkante zurück auf die Fenstersimse, den Vorsprung, die Erde. Römheiß, der im Schlafsaal über ihm geschlafen hatte, hätte es schneller und eleganter hinbekommen, aber Römheiß war tot und so konnte man gewiss berechtigte Zweifel an seiner Geschicklichkeit haben. Er lachte, ein kurzes, hässliches Lachen, dass seinen Bruder überrascht hätte. Schramo hatte Römheiß, diesen Angeber, nie gemocht. Außerdem hatte er immer mit Genuss diese grässlichen Zwiebeln gekaut und anschließend durch die Matratze gefurzt.
Ab nach Hause, der Tag wurde nicht jünger und jetzt konnte er sogar noch vor seinem Bruder da sein, wenn er sich ein wenig beeilte.