Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 38


Es war vielleicht eine Stunde vor Mitternacht, als es endlich zu regnen aufhörte. Trotzdem wurde man noch ausreichend nass, wenn man sich durch den Wald bewegte. Sie waren noch bis zum Sonnenaufgang im Ornithopter geblieben. Trotzdem war es eine lausige Wanderung durch die nächtliche Nässe. Das einzige, was ihre Stimmung letztlich hob, war, dass sie nur eine Stunde suchen mussten, bevor sie die Absturzstelle fanden.
Die halbe Stunde, die sie anschließend damit verbrachten, in Gebüschen herumzulungern und das Wrack zu beobachten, nur um noch nasser und durchgefrorener zu werden, verschlechterte ihre Stimmung hingegen wieder erheblich.
Am Ende kamen sie zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Leuten, die dort ihren morgendlichen Beschäftigungen nachgingen, ausschließlich um verwirrte und verärgerte Fahrgäste sowie Personal handelte, und keine oravahlischen Terroristen.
Aus verständlichen Gründen zögerte der Hügelstättische Botschafter und Besitzer des ebenfalls abgestürzten Ornithopters, sich diesen Menschen zu nähern. Letztendlich gab er sich trotzdem einen Ruck und verließ sein Versteck.
Ihm stellten sich mehrere Crewmitglieder entgegen, angeführt von einem Mann, der durch seine prachtvolle Uniform deutlich als der Kapitän des Luftschiffes zu erkennen war.
"Ich grüße sie. Es sieht aus, als wären sie abgestürzt. Können wir ihnen helfen?"
Der Kapitän blickte Kol Therond einen Augenblick lang an, nicht ohne dabei seine Augen auch über die mitgenommene Kleidung des Botschafters gleiten zu lassen. Erst danach deutete er auf das Wrack. "Sie haben leider Recht. Daher danke ich ihnen für ihr Angebot. Aber ich muss fragen: Sind sie Hügelstätter? Sie verstehen sicherlich", er deutete auf die Abzeichen seiner Heimat auf dem beschädigten Luftschiff. „Unsere Nationen sind sich nicht wohlgesonnen.“
"Ich nehme an, mein Akzent hat mich verraten. Ja, in der Tat stamme ich aus den Hügelstätten."
"Dann sind wir gar nicht in Klifsen? Laut unserer Instrumente, müssten wir über die [Hügelstätte] hinaus sein."
"Sie sind tatsächlich in Klifsen."
Der Kapitän durchbohrte den Botschafter mit einem weiteren Blick.
"Wie kommt es, dass sie dann hier sind. Meinen Informationen zu Folge, wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den [Hügelstätten] und Klifsen abgebrochen." Jetzt begann er auch die anderen Mitglieder der kleinen Gruppe zu mustern. "Und wenn ich mich nicht irre, ist die Bekleidung dieser Burschen eher in Xpoch als in den Hügestätten zu finden."
Es kam zu einem kurzen Duell der Blicke, welches Kol schließlich aufgab.
"Wir sind ebenfalls abgestürzt." Der Kapitän nickte.
"Dann sind sie der Pilot, der unsere Hülle zerrissen hat."
"Es tut uns leid. Wir haben die Kontrolle verloren, nachdem die Terroristen auf uns geschossen hatten."
Malandro musste sich Mühe geben, seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten, aber er musste zugeben, dass der Mann es im Lügen mit den besten unter ihnen aufnehmen konnte.
"Sie waren bereits in Xpoch auf dem Landefeld, habe ich nicht Recht?"
"Sie haben Recht. Wir haben ihr Luftschiff verfolgt, weil wir der Terroristen habhaft werden wollten."
Der Kapitän sah ihn erneut an und begann zu lachen.
"Und wie hatten sie sich vorgestellt, diese Männer zu erreichen? Wollten sie mein Luftschiff entern?"
"Der Plan bestand darin, dem Schiff bis zum Ziel zu folgen, um sie dort festzunehmen?"
"Dafür sind sie uns aber viel zu nahegekommen."
"Ein Ornithopter kann leider nicht so ohne weiteres in der Luft schweben. Wir mussten verschiedene Verfolgungsmanöver versuchen. Dabei haben wir die Verteidigungsfähigkeit der Terroristen unterschätzt."
"Aber warum verfolgen sie sie? Ein [Hügelstätter] und ein paar Xpochler? Sie müssen zugeben, dass dies eine seltsame Besatzung ergibt."
"Es ist sicherlich nur fair, wenn wir es ihnen offenbaren." Kol zögerte einen Moment, dann erklärte er ihren Auftrag: "Die Oravahler haben etwas gestohlen, in der Hoffnung damit ein mächtiges Artefakt zu erlangen, welches Tod und Chaos für die Menschheit bedeuten würde."
Der Kapitän zog eine Augenbraue hoch. "Ich weiß, dass dies ein wenig weit hergeholt klingt, aber sie müssen eingestehen, dass ich mir jederzeit eine wahrscheinlichere Geschichte hätte ausdenken können. Warum hätte ich daher gerade diese erzählen sollen?"
Tiscio war nur einen Atemzug davon entfernt, nach einer solchen Geschichte zu fragen, weil er sie zu gerne gehört hätte. Aber glücklicherweise ging das eigentliche Gespräch weiter.
"Wenn sie die Entführer so dringend fangen wollen, dann haben sie sich recht viel Zeit gelassen, um uns hier zu finden."
"Wir wurden ein wenig aufgehalten. Aber vielleicht können sie uns sagen, wohin die Männer verschwunden sind? Sie scheinen ja nicht mehr hier zu sein."
"Sie haben sich in Richtung Süd und West gewandt." Nachdem die Crew des Luftschiffes die fragenden Blicke gesehen hatte, erbarmte sich einer der Männer und streckte seinen Arm schräg hinter sich aus.
"Wie lange sind sie schon fort?"
"Sie haben uns vor etwa zwei Tagen verlassen. Eigentlich sofort, nachdem wir gelandet waren."
"Ohne Geiseln zu nehmen?"
"Das hat uns auch anfangs verwundert, aber ich vermute, sie wollten sich nicht unnötig belasten. Immerhin wussten sie ja, dass sie verfolgt wurden. Sie haben uns allerdings gedroht, die Kabine nicht für die nächsten Stunden zu verlassen. Sie behaupteten, dass sie Sprengstoff an den Ausgängen angebracht hätten. Daraufhin haben wir nach geraumer Zeit die Räumlichkeiten durch die Fenster verlassen, konnten jedoch keine Sprengsätze entdecken."
"Haben sie irgendetwas mitgenommen."
Ein weniger gut gekleidetes Crewmitglied meldete sich dieses Mal zu Wort: "Sie waren noch einmal im Frachtraum und haben zwei Kisten aufgebrochen. Ich weiß nicht, was sie enthalten haben, aber es sah so aus, als hätten sie einiges eingesteckt."

Wenig später fanden sich die Jungen im Frachtraum wieder, wo sie zwei aufgebrochene Kisten untersuchten. Die eine schien fast vollständig ausgeräumt worden zu sein, die andere hatte vielleicht gerade genug Platz, um genau einem Buch Platz zu geben.

Sie waren bereits auf dem Weg aus dem Wrack heraus, als sie wieder zu sprechen begannen.
"Was da wohl drin war?"
"Das Buch natürlich."
"Nein, ich meine die andere Kiste."
"Ausrüstung."
"Was meinst du?"
"Na, die wollen irgendwohin und haben sich entsprechend ausgestattet."
"Du meinst anders als wir."
"Sehr witzig."
"Ist doch wahr."
"Na toll."
"Was ist jetzt schon wieder."
"Na, wir verfolgen Oravahler, die zwei Tage Vorsprung haben und sich ausgerüstet haben. Wir haben keine vernünftige Ausrüstung, und das einzige, was uns zur Verfügung steht, sind ein paar lausige Erfindungen, die manchmal funktionieren und manchmal nicht."
"Hey. Diese 'lausigen Erfindungen' haben uns schon ‘ne Menge geholfen."
"Ganz ruhig, Gunnar, deine Erfindungen und die deines Vaters sind großartig. Was mich auf eine Idee bringt: Könntest du nicht aus dem Ornithopter und dem Luftschiff ein neues Fluggerät bauen? Ein Ornischiff? Einen Kudrayopter?"
Gunnar sah Tiscio für einen Moment an, wobei nicht klar war, ob er ihn für verrückt hielt, oder die Möglichkeit tatsächlich überdachte.
"Ne, würde nicht funktionieren. Am Ornithopter ist die Energiequelle kaputt. Die Dampfmaschine im Luftschiff ist ziemlich gut ..."
"Du hast sie dir angesehen? Wann hast du denn das gemacht?"
"Als wir drinnen waren. Ist alles eine Ruine, aber das ist doch jetzt egal. Ich meine, wir können die Dampfmaschine nicht in den Orni einbauen und die Flügel nicht an das Luftschiff. Soweit klar?"
Seine beiden Freunde nickten.
"Und egal, was wir von dem einen ins andere Tun, Gewicht und Aerodynamik machen uns einen Strich durch die Rechnung."
Dieses Mal war das Nicken verhaltener und Gunnar zweifelte nicht daran, dass er viel Zeit darauf verschwenden könnte, ihnen ein wenig Naturphilosophie beizubringen, es aber vermutlich keinen Sinn ergeben würde.

Die Jungen aus der Feldstrasse