Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 28


Jemand rüttelte an Tiscios Arm. Er versuchte sich noch gegen das Wachwerden zu wehren, aber sein schwächliches Zucken mit der Schulter reichte nicht einmal aus, um die fremde Hand abzuschütteln. Er benötigte eine Weile, bis er bemerkte, wie hart und kalt sein Bett war. Dafür wusste sein Körper sehr schnell, dass jede Bewegung schmerzhaft werden würde, weil seine Muskeln müde und verkrampft waren.
"Es ist Zeit, aufzustehen, Tiscio", stellte eine tiefe, vertraute Stimme fest, die laut genug war, um sich über den Lärm im Hintergrund der Schläfrigkeit Gehör zu verschaffen. Langsam drang die Welt um ihn herum in die Überreste der Erinnerung an einen Traum ein und der Wachtmeisteranwärter schob mühsam ein Auge auf, in der Hoffnung, dass der Anblick des Störenfrieds ihn verschwinden lassen würde. Was er jedoch vor allem sah, waren Füße, die geschäftig über einen Steinboden hin und her rannten. In überraschter Trägheit stellte er fest, dass es sich um den Fußboden des Eingangsbereichs der Metrowacht handelte, was den Vorgang des Erwachens beschleunigte. Er drückte sich vom Boden hoch und sah in das Gesicht Kargerheims, der ihn mit einem milden Lächeln betrachtete.
Tiscio blickte sich um, während er seine Augen rieb. Es war viel los an seinem Arbeitsplatz, mehr als er zu dieser Uhrzeit erwartet hätte, wie spät es auch immer sein mochte. Vor allem waren die meisten der Männer, die hier herumliefen oder auch nur warteten, in zivil.
Sein Blick fiel auf die Bank neben dem Eingang, wo Malandro und Gunnar aneinander gelehnt schliefen. Jemand hatte sie zugedeckt, genau wie ihn, wie er jetzt mit einem Blick auf seinen Körper feststellte.
"Weck bitte deine Freunde", forderte ihn der alte Berti auf. Als Tis zu einer Frage ansetzen wollte, fügte er "Wir erklären euch gleich alles", hinzu.
Also ging Tiscio zur Bank hinüber und rüttelte an den beiden Schläfern. Er war weniger zartfühlend als Kargerheim und grinste, als er seine Freunde dabei beobachtete, wie sie sich aus dem Schlaf herauskämpften. Ein Glück, dass nicht sie ihn geweckt hatten.

"Seitdem wir heute Nacht hierherkamen, hat sich viel getan", begann Kargerheim seine Lagebesprechung. "Wir haben Rückmeldung vom Militär erhalten, dass sie mit mehreren Luftschiffen über der Bucht auf Lauer liegen, vom Flugplatz aus nicht zu sehen. Nur für den Fall, dass wir den Start nicht verhindern können. Darüber hinaus wurde die Wacht auf dem Flugfeld nicht ausgewechselt, sondern nur um die Folgeschicht verstärkt." Er deutete auf die Männer im Raum. "Wie ihr sehen könnt, ging der Ruf hinaus und fast alle Kollegen sind anwesend. Da wir auf dem Flugfeld kein Aufsehen erregen wollen, werden wir auf Uniformen verzichten und mit der Schiene in mehreren Gruppen dorthin fahren." Mit einem Blick auf die drei wurde er eindringlicher: "Ihr habt gestern gute Arbeit geleistet. Ihr habt nicht immer alles richtiggemacht, aber trotzdem war es gut. Deshalb würde ich euch bitten, hier zu bleiben, denn es wird gefährlich werden." Er holte tief Luft. "Seid vorsichtig. Und erinnert euch an eure Möglichkeiten." Letzteres wurde mit einem Blick in Gunnars Richtung unterstrichen, der erst noch dabei war, seine Müdigkeit abzuschütteln, bevor er verstand, was Tiscios Mentor andeuten wollte. Dann nickte er eifrig und winkte seinen Freunden zum Abschied. Seine Beine trugen ihn noch nicht ganz zuverlässig, trotzdem eilte er so schnell er konnte nach Hause.
Unterdessen drückte Kargerheim den beiden anderen Jungs ein paar Mark in die Hand, um ein Prileken, einige trockene Hedewige und fünf Becher Panas zu besorgen. Sie hätten zwar problemlos etwas Panas aus dem nie versiegenden Vorrat des Reviers bekommen können, aber Kargerheim kannte die dünne Plörre und hätte sie nur mit sehr viel gutem Willen als Klapörtjenwater bezeichnet. Angesichts der kurzen Nacht, die sie gehabt hatten, brauchten sie jedoch etwas Stärkeres.

Als Gunnar zuhause eintraf, wusste er sehr genau, dass er als erstes seine Mutter beruhigen musste. Natürlich erzählte er ihr nichts von dem Automaten, der sie noch vor wenigen Stunden verfolgt hatte, oder von der erneuten Begegnung mit den Darndianern. Und schon gar nichts wollte er ihr über sein nächstes Ziel erzählen. Hier biss er jedoch bei seiner Mutter auf Granit, denn letztendlich konnte er kaum verlangen, dass sie keine vernünftige Erklärung von ihm verlangte, wenn ihr Sohn mit all den Waffen, die ihr Mann in der Werkstatt aufbewahrt hatte, das Haus verließ. Natürlich war da nichts Tödliches dabei. Aber wenn Gunnar aufrüstete, musste auch dem Begriffsstutzigsten klar sein, dass er nicht zum Marquinspielen ging. Und Friedjof hatte seine Frau sicher nicht geheiratet, weil sie begriffsstutzig war.
"Ehrlich Frau Mutter. Wir begleiten Herrn Unterschnitt und Herrn Kargerheim nur. Wir wollen uns nicht in einen Kampf stürzen. Das ist nur zur Vorsicht."
"Also ist es gefährlich, wo ihr hingeht."
"Nicht da, wo wir sind. Es ist auch mindestens ein Gros Metrowächter anwesend. Es besteht also gar kein Grund zur Sorge."
"Wozu benötigst du dann die Waffen?"
"Damit uns auch wirklich nichts geschehen kann."
"So froh ich auch darüber war, dass du Freunde gefunden hast, so sehr glaube ich inzwischen manchmal, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich haben. Es sind nette Bengel, aber, wenn ich das alles so beobachte, könnte ich meinen, dass sie dich irgendwann zu einem Verbrechen verleiten werden."
Gunnar wandte sich ein wenig von seiner Mutter ab und tat so, als würde er etwas an den Geräten, die er bei sich trug, zurechtrücken, damit sie nicht sehen konnte, wie die Farbe sein Gesicht verließ. Die Worte "das habe ich schon ganz allein hinbekommen" lagen ihm bereits auf der Zunge. Aber so sehr er sich auch wünschte, seine Mutter in sein größtes und fruchtbarstes Geheimnis einzuweihen, schluckte er sie doch nur ein weiteres Mal hinunter und schwieg.
"Ich bin um spätestens sechs wieder zu Hause, versprochen." Doch darin täuschte er sich.
Seine Mutter umarmte ihn zum Abschied und hielt ihn noch einen weiteren Moment auf, weil sie ihm noch eine dicke Stulle aus der Küche holte, die er kaum noch in die Hand nehmen konnte.
Trotzdem gelang es ihm, sie mit ein paar bissen hinunterzuschlucken, wobei seine Hand und auch sein Mund derart vom Senf verschmiert waren, dass ihn seine Freunde ein wenig auslachten, als er endlich wieder in der Metrowacht eintraf.
Der inzwischen nur noch lauwarme Panas und die Leckereien, die sie ihm übriggelassen hatten, trösteten ihn jedoch über den Spott hinweg.

Die Jungen aus der Feldstrasse