Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 25


Unterdessen war Gunnar zurück zur Werkstatt des Erfinders gegangen und hatte versucht, der Spur seines Freundes und des Automaten zu folgen. Den Schnüffler hatte er in der Metrowacht in Verwahrung gegeben, da ihm inzwischen die Schultern von den Riemen schmerzten. Für einen kurzen Moment hatte er noch überlegt, ob er ihn verwenden sollte, um seinen Freund zu finden, war aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es gegen jegliche Wahrscheinlichkeit sprach, dass er ausgerechnet Malandros Spur in eine der Kammern aufnehmen würde. Daher ging er lieber leichteren Schrittes und verließ sich auf seine Augen und Ohren, auch wenn er sich eine vernünftige Lampe gewünscht hätte. Nicht nur, um etwaige Körper in den Müllhaufen entdecken zu können, sondern auch, um potentielle Diebe, Räuber und Totschläger abzuschrecken. Außerdem gab ihm die Dunkelheit mehr Gelegenheit an seine juckenden Hände zu denken, deren Verbände er gerne heruntergerissen hätte. Aber er wollte ungerne die Schelte seiner Mutter beschwören. Es gab genug, worum er sich derzeit Sorgen machen konnte.
Ein riesen Stein fiel im schließlich vom Herzen, als er den Automaten in einer Gasse entdeckte. Nur ein Schatten zwischen zwei Häusern, wo kein normaler Bewohner Xpochs etwas hin montiert hätte. Da der Körper seines Freundes nicht im näheren Umfeld lag, musste er entkommen sein. Es galt also jetzt herauszufinden, wo sich Mal versteckt hatte. Ganz konnte Gunnar jedoch nicht aus seiner Haut und kehrte noch einmal zum Automaten zurück, den er gerne näher untersucht hätte. Allerdings waren in dem schwachen Licht der entfernten Gaslampen kaum mehr als die Umrisse zu erkennen, weswegen er sich schließlich schulterzuckend auf den Weg machte.
Es wäre ziemlich sinnlos gewesen, die Straßen dieser Stadt abzusuchen, in der Hoffnung, einen versteckten Feldstraßler aufzuspüren. Daher steuerte er zuerst sein eigenes Heim an, wo er nur kurz seine Mutter begrüßte, um sich gleich wieder zu verabschieden, nachdem er die Abwesenheit jedweden Freundes registriert hatte.
Es gab nur einen Ort, der ebenfalls als logische Zufluchtsstätte in Frage kam, und zu diesem Machte er sich daher auf. Das war auch der Grund, warum er Tiscio verpasste, der in der Hoffnung, seine Freunde in der Zirklergasse anzutreffen, dorthin kam. Sie trafen sich erst, als der junge Erfinder selbst wieder zurückkehrte, denn der erschöpfte Bertianwärter hatte es sich in der Werkstatt gemütlich gemacht. Noch einmal durch die Nacht bis zu den Kargerheims zu gehen, war ihm am Ende wie eine unlösbare Aufgabe vorgekommen.

Malandro hatte tatsächlich seinen Heimathafen angesteuert und war direkt zu Unterschnitt gewankt, der besorgt zugehört hatte, als sein junger Lehrling ihm von den Ereignissen der Nacht erzählt hatte. Malandros Bericht war immer wieder von Schmerzlauten unterbrochen worden, da Soldrang seine Wunden gereinigt und verbunden hatte.
Als Gunnar eintraf betüddelte ihn der Buttler bereits in der Küche. Vor ihm stand ein großer Becher Panas und ein Teller mit zwei Zimtschnecken sowie ein kleines Glas vom guten Schnaps, den Unterschnitt nur selten herausrückte. Entsprechend rührte Malandro das Glas noch nicht an. Erst wenn alles andere in seinem Magen verschwunden war, wollte er ihn sich gönnen.
"Da habe ich dich ja gefunden", begrüßte Gunnar seinen kauenden Freund.
"Schön, dass du da bist. Die verdammte Maschine hat mich aufgeschnitten", unterbrach der Zauberlehrling seine Mahlzeit und deutete auf seinen Oberkörper.
"Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, dass ich schneller war."
"Du? Schneller? Du bist ja'n Hahnepampel! Du hattest nur einen Vorsprung."
"Wie auch immer. Schön, dass es dir gut geht."
"Gut? Es tut bannig weh und ich bin höllisch sauer. Den zeige ich an."
"Ist schon geschehen."
"Du hast ihn angezeigt?"
"Nicht direkt, aber der Oberwachtmeister war ziemlich stinkig, als er davon gehört hat."
"Dann sind sie also gekommen?"
"Ja. Und sie haben ihn mitgenommen."
"Dann zeige ich ihn trotzdem noch an. Erzähl! Was ist passiert?"
Und so erzählte Gunnar Malandro, was er wusste, woraufhin Mal seinerseits sein Abenteuer zum Besten geben musste. Gunnar war gebührend empört, erstaunt und entsetzt, so dass sich Malandro zufrieden zurücklehnen konnte.
"Und was jetzt?"
"Jetzt gehe ich nach Hause. Es ist halb neun durch."
"Hast du Tissi noch mal gesehen?"
"Nein, aber der ist hoffentlich auch beim Abendessen. Und lass ihn das bloß nie hören."
"Was? Tissi? Natürlich nicht. Nur, wenn ich ihn mal richtig aufziehen will. Was mich wieder an den döllmerten Automaten erinnert. Den zeige ich gleich morgen an."
"Aber erst treffen wir uns bei Tiscio."
Und damit war auch schon alles gesagt, weswegen Gunnar sich auf den Heimweg machte.

Aber so sehr er sich auch nach seinem Abendessen sehnte - selbst ein Eilebrot erschien ihm derzeit eine verlockende Speise - noch war sein Tag nicht zu Ende.
Anders als Malandro und Tiscio war der junge Student nicht auf der Straße groß geworden, in der beständigen Angst von den Mitgliedern irgendeiner verfeindeten Bande verprügelt zu werden. Deswegen war es auch erheblich leichter, ihm aufzulauern. Glücklicherweise beschränkte sich das schurkenhafte Verhalten der Lauernden in diesem Fall auf einen üblen Schrecken, den sie dem jungen Mann einjagten.
"Herr van der Linden", erklang es plötzlich aus einem Schatten am Eingang zur Zirklergasse. Es war ein Glück, dass Gunnar nicht mehr den Schnüffler bei sich trug, denn er hätte ihn garantiert fallen lassen, was zwar dem Gerät keinen Schaden zugefügt, aber vermutlich einige blaue Flecke bei ihm selbst verursacht und seinem Nacken einen hübschen Ruck zugefügt hätte.
Die Gestalt von Gillin Kofa floss langsam ins Licht. "Sie hatten einen langen Tag."
Gunnar musste erst Luft holen, bevor er dem Darndianer antworten konnte. "Ja, und ich wäre dankbar, wenn er endlich vorüber wäre."
"Ich verstehe, dass sie nicht erfreut sind, mich zu sehen, aber ich habe Informationen für sie, natürlich im Tausch für Informationen ihrerseits."
"Das hängt davon ab, was sie wissen wollen."
"Nur, was heute aus der Metrowacht gestohlen wurde."
"Das ist alles? Woher wissen sie überhaupt davon? Außerdem steht das sicher auch morgen oder spätestens übermorgen in der Zeitung."
"Dann ist es aber wahrscheinlich zu spät."
"Was soll das jetzt wieder heißen?"
"Das sage ich ihnen, wenn sie mir die Information geben."
Gunnar zögerte, konnte aber letztlich keinen Schaden darin sehen, diese Information preis zu geben.
"Die Bücher aus den Hügelstätten. Ich meine die Tagebücher, die Professor Ulfhaus in seiner Wohnung hatte."
"Mehr nicht?"
"Es war eine ganze Kiste voll. Der Einbrecher hat aber die Kiste dagelassen."
"Und was stand in den Büchern?"
"Das wäre jetzt eine zweite Information, wenn ich richtig zähle."
"Da haben sie natürlich Recht. Aber vielleicht sind sie bereit, sie mir mitzuteilen, wenn sie ihrerseits meinen Bericht gehört haben."
Gunnar zog die Schultern hoch, wobei er es genoss, in diesem seltsamen Spiel einen Punkt gemacht zu haben. Weniger erfreut war er darüber, als ihn Kofa in den Schatten zog.
"Nennen sie es Paranoia oder Spinnerei, aber wir beschatten seit Jahren die wichtigsten Mitglieder des Lapisis Via. Daher waren wir heute Nachmittag in der Nähe der Metrowacht, als einer dieser Männer mit Hilfe eines weniger bedeutenden Kollegen in ein Haus einbrach und einige Zeit später mit mehreren Beuteln wieder herauskletterte. Von einem anderen wissen wir, dass er für morgen mehrere Plätze auf einem Flugschiff Richtung Torath gebucht hat."
"Die Hauptstadt der Hügelstätte?"
Kofa nickte, was Gunnar in der Dunkelheit fast entgangen wäre. "Wann erhebt sich das Luftschiff?"
"Laut Flugplan um elf Uhr am Vormittag."
Sie schwiegen einen Augenblick, bis Kofa fragte: "Wollen sie mir nicht vielleicht jetzt erzählen, was die Bücher so wichtiges enthielten?"
Gunnar tat es.

Die Jungen aus der Feldstrasse