Die Jungen aus der Feldstrasse, Teil 22


Natürlich ging Tiscio direkt zu Gunnar, um den Schnüffler zu füttern. Dem jungen Erfinder gelang es seine Neugier auf Tiscios Bericht so lange zu bändigen, dass seine Mutter nichts davon mitbekam und sie die unförmige Maschine gefüttert hatten.
"Na, dann schau‘n wir mal, ob wir den Geruch eines Verbrechers haben. Welche Kammer soll ich zuerst nehmen? Zwei oder drei?"
"Warum nicht eins?"
"Weil da dein Geruch drin ist. Dein Taschentuch, deine letzte Berührung der Stange, deine Jackentasche."
"Ach ja, hatte ich vergessen. Dann drei. Da war bestimmt schon einer meiner Kollegen vor mir dran."
"Hoffentlich nicht zwei."
Gunnar legte den Schalter auf Suchen um, und das Gerät begann leise zu piepen, während er es hin und her schwang.
"Halt!" rief der junge Wachtmeisteranwärter.
"Tiscio, so laut ist der Schnüffler auch nicht."
"'tschuldigung. Gewohnheit. Wir müssen noch Malandro Bescheid sagen."
"Dann lass uns einen Jungen schicken und ihn unterwegs treffen."
"Einen Boten? Hast du gerade dein zweirädriges Dampfgefährt verkauft?"
"Sei nicht albern. Da steht es doch. Nein, wir schnappen uns einen Jungen von der Straße und geben ihm ein paar Pfennige."
"Und du glaubst, dass der nicht einfach mit dem Geld abhaut?"
"Natürlich. Das ist hier nicht das Ingen oder die Neustadt."
"Na danke."
"Außerdem schicke ich öfter mal einen los und wenn die mich betrügen würden, würden sie ja keinen Auftrag mehr von mir erhalten."
"Klingt wie ein Grund."

Vor dem Haus mussten sie nicht lange warten, bis sie einen willigen Burschen fanden, der für drei Pfennige zur Walkriede lief, um Malandro Bescheid zu geben. Anschließend machten sie sich selbst auf den Weg und folgten der dritten Spur, die sie logischerweise Tiscios Weg zurückführte.
Unterwegs verpassten sich die drei beinahe, jedoch warf Malandro an einer Ecke noch einmal einen Blick zurück und entdeckte seine Freunde im Licht einer Straßenlaterne.
"Warum habt ihr nicht in der Zirklergasse gewartet? Da hätte ich jetzt schön rumgestanden."
"Wir müssen einer Spur folgen."
"So dringend, dass ihr nicht 'ne halbe Stunde warten konntet?"
Daraufhin erzählte Tiscio erneut die Ereignisse des Abends. Malandros erste Reaktion war jedoch nicht Empörung, wie es einem gesetztestreuen Bürger angestanden hätte, oder Begeisterung, weil sie vielleicht endlich eine Spur fanden. Nein, seine erste Frage war: "Was liegt denn da noch so rum, in der Reservaten Kammer?"
"Na, Beweisstücke, Mordwaffen, Hinweise und so. Außerdem heißt es Aservatenkammer. Beginnt mit einem 'A'. Warum willst du das wissen?"
"Interessiert mich halt", grinste der Zauberlehrling.
"Komm bloß auf keine dummen Ideen. Dafür ist Tiscio zuständig."
"Machst du das heute Abend mit Absicht, Gunnar?"
"Was denn?"
Glücklicherweise trafen sie in diesem Moment bei der Metrowacht ein, wo Gunnar einer Eingebung folgend am Eingang von der Spur, der sie gefolgt waren, abwich und auch prompt etliche andere fand. Der, die das stärkste Piepen verursachte folgten sie. Allerdings stellte sich bald heraus, dass sie sie in den Norden der Altstadt führte, genauer in die Gerberreihen, einem Viertel, welches von vielen der älteren Metrowächter als Wohnstätte bevorzugt wurde. Malandro konnte sie verstehen. Sicher, es war nicht der vornehmste Stadtteil Xpochs, aber es war der modernste und vielleicht auch sauberste, wenn man von Olanimener Berg absah, wo sich die Reichen verschanzt hielten.
Also kehrten sie um und schalteten auf die zweite Kammer um, obwohl sie wenig Hoffnung hatten, dass sie mit dieser etwas finden würden.
Zu ihrer Überraschung begann das Gerät bereits zu piepen, als sie noch zwei Häuser von der Metrowacht entfernt waren. Die Spur zeigte in Richtung Hafen und fand ihr Ende (oder auch ihren Ursprung) unter einem mit Fensterläden geschlossenem Fenster. Schnell lief Malandro die Hauswand entlang und stellte schnell fest, dass man über das Dach dieses einen Hauses direkt über ein benachbartes Haus zur Metrowacht gelangen konnte. Zufrieden mit der Bestätigung ihrer Theorie nickte er und lief zu seinen Freunden zurück.
Natürlich hätte Tiscio jetzt seinen Vorgesetzten Bescheid sagen können. Auch wäre es vielleicht sinnvoll gewesen, dass Malandro Unterschnitt um Unterstützung angegangen wäre, aber das Jagdfieber hatte sie erfasst und sie folgten der Spur in den Hafen, den Molen entlang bis zum Ausläufer der Bergkette, welche den Süden Xpochs begrenzte und sowohl die Hetradostei als auch der alten Burg eine erhöhte Position verschaffte. Der heilige Bezirk Hetradons schien auch das nächste Ziel der Spur zu sein, doch auch hier bildete die Natur eine natürliche Grenze, der ihre Füße folgten.
Schließlich gelangten sie tiefer in die Obere Altstadt, die sich von den Hängen bis zur Stadtmauer zog und dabei sowohl die Hetradostei als auch Teile des Olanimener Bergs umschloss.
Schließlich blieben sie unter einem Schild stehen, auf dem jemand in großen phosphoreszierenden Buchstaben verkündete, dass dies die Heimat von Badb Gwylain war, seines Zeichens Ingenieur und damit Gunnars Konkurrent. Fast wären sie gegen das Tor des Schuppens gerannt, der sich an das eigentliche Haus schmiegte, weil die Spur genau dahinter verschwand.
"Kennst du ihn?" fragte Malandro Gunnar mit einem Nicken in Richtung des Schilds.
"Er war mal bei meinem Vater. Ich glaube, sie mochten sich nicht besonders. Aber mein Vater mochte vermutlich kaum einen anderen Erfinder."
"Und das hilft uns getze wie weiter?"
"Gar nicht. Aber wäre doch nett gewesen, wenn wir wüssten, dass er ein banniger Kerl ist, dem man so einen Einbruch zutraut." Tiscio und Malandro funkelten sich an und Malandro musste plötzlich denken, dass Tis ziemlich unausstehlich sein konnte, wenn er erschöpft von der Arbeit war.
"Könnt ihr euch bitte beherrschen und etwas leiser sein? Wichtiger ist doch jetzt, was wir mit Herrn Gwylain anstellen."
"Anstellen? Willst du ihn verhaften oder lieber gleich töten?"
"Natürlich nicht", brachte Gunnar nur hervor. Er wirkte mit einem Mal niedergeschlagen und es war an Malandro, Tiscio gegen die Schulter zu boxen, um eine Entschuldigung aus ihm herauszubekommen.
"Tut mir leid, Gunnar. War nicht so gemeint, vollkommen döllmig."
"Ist schon gut. Ich versuche es nur immer zu verdrängen."
"Und weil er so ein Döllmer ist, läuft Tiscio jetzt zurück zur Metrowacht und holt Verstärkung."
"Was?"
"Du hast schon Recht gehabt. Wir können hier nichts machen, außer ihn zu beobachten. Und die Spur hierher ist ein ziemlich guter Beweis."
"Stimmt allerdings. Gut, ich gehe. Macht aber keine Dummheiten", grinste er ihnen noch zu, während er sich in einen leichten Trab fallen ließ.

Jetzt nur noch zu zweit in der spärlich beleuchteten Straße, blickten sich die beiden nach etwas zu tun um. Entgegen Tiscios Befehl, war das erste, was sie machten, in das beleuchtete Fenster des Schuppens zu blicken. Sie entdeckten einen Mann mittleren Alters - d.h. uralt für die beiden jungen Männer - der an einem Tisch über irgendwelche Gerätschaften gebeugt stand. Er schien an einer Erfindung zu arbeiten, vermutlich etwas Mechanischem, wie Gunnar aufgrund verschiedener Uhrwerke in dem Regal hinter ihm annahm.
Nachdem sie noch ein wenig auf der Straße herumgeschlendert waren zog sich Gunnar in die Schatten einer Gasse gegenüber dem Eingang zurück, während Malandro in einer Gasse neben dem Haus verschwand, auf der Suche nach was immer sich dort vielleicht finden lassen würde.
Mit einem lauten Brummen gingen plötzlich überall am Haus Lichter an und das Tor wurde aufgestoßen. Die beiden Freunde mussten blinzeln, weil es sich nicht um das schwache Gaslicht der Straßenlaternen handelte, sondern um grelles, ambarisches Licht, welches Zeigte, dass alle Nachbargebäude mit stabilen Läden ihre Fenster bedeckt hatten. Anscheinend hatten sich ihre Bewohner auf ein ebensolches Ereignis inzwischen eingerichtet.
"Was schleicht ihr beiden um mein Haus herum?" erklang eine metallische Stimme, deren Ursprung Malandro erst sehen konnte, als er zurück auf die Straße lief. Der Mann, den sie durch das Fenster gesehen hatten, stand breitbeinig im Torrahmen, neben sich ein seltsames Gestell und vor dem Mund eine Maske, die keinen anderen Sinn zu haben schien, als seine Stimme zu verzerren. Während Mal noch über die Vor- und Nachteile eines solchen Gesichtsschmucks sinnierte, konnten sich Gunnars Augen nicht von der Maschine lösen, die auf ihn wirkte wie eine vierbeinige Spinne, die den Oberkörper eines mechanischen Affens durch die Gegend schleppte. Unter normalen Umständen hätte er dieses Konstrukt als nette Spielerei betrachtet, denn ihr mechanischer Motor verwendete vermutlich ein Uhrwerk als Antrieb und konnte daher nicht besonders lange schwerere Aufgaben erledigen. Zugegeben, es war sauber und verhältnismäßig leise, aber die meisten Automaten, die einem kommerziellen Nutzen besaßen, arbeiteten viele Stunden am Stück, ohne dass man sie alle paar Minuten wieder aufziehen musste.
Allerdings waren Gunnar nicht die klingenbewährten Klauen der Maschine entgangen und er bezweifelte nicht, dass sie der Aufgabe, ein paar Störenfriede zu vertreiben, mehr als gewachsen war.
"Wir sind hier nur vorbeigekommen", log Malandro. Es klang recht überzeugend, war aber vermutlich zu wenig für jemanden, der paranoid genug war, um sein Haus mit einer Notbeleuchtung auszustatten und sich einen Wächterautomaten zu halten. In Anbetracht dessen, was mit seinem Vater geschehen war, konnte Gunnar es ihm nicht einmal verübeln. Allerdings machte dieses Verhalten Herrn Gwylain auch überaus verdächtig, was ihren speziellen Fall betraf.
Gunnar löste sich aus dem Schatten und ging mit Malandro auf das Haus zu, was unter den gegebenen Umständen vielleicht nicht die glücklichste Entscheidung war. Er wollte sich deutlich im Licht zeigen, um die Situation etwas zu deeskalieren, vergaß dabei jedoch, wie ein Gerät mit dem Aussehen des Schnüfflers auf Außenstehende wirken musste, wenn man ihn nicht kannte. Eine langgezogene Konstruktion mit der trichterförmigen Öffnung am vorderen Ende, zusammengesetzt aus Röhren, Kabeln und Kammern, die alles Mögliche enthalten mochten. Wäre er etwas weniger vertraut mit dem Gerät gewesen, hätte er sicherlich eingestanden, dass er schon Blitzwerfer gesehen hatte, die weniger nach einer Waffe aussahen als der Spurenriecher, den sein Vater gebaut hatte. Daher war es im Nachhinein nicht verwunderlich, dass der Erfinder einen undeutlichen Befehl brüllte und die Maschine auf sie losließ.

Die Jungen aus der Feldstrasse