Die Brennerbande, Teil 77


Jeder von ihnen wollte noch einen Blick hineinwerfen, bevor es alle letztendlich doch glauben mussten.
"Und was nun?"
"Ich würde sagen, wir gehen jetzt einfach wieder zurück." Herr van der Linden deutete mit dem Rüsterarm über den Rowenberg. Die Feldstraßler folgten dem Arm mit ihren Augen und blickten missmutig auf den Rückweg.
"Wenn wir Herrn Kargerheim finden," war plötzlich Gunnars Stimme zu hören, "dann finden wir auch die Ritter."
"Und wie willste Herrn Kargerheim finden, du Schlaumeier?" Es dauerte nicht lange, bis Walmo für diese Frage von seinem Bruder einen Klaps an den Hinterkopf bekam.
"Mit dem Schnüffler natürlich."
"Halt, halt, Jungs. Ich denke nicht, dass ihr darüber weiter nachdenken solltet."
"Herr van der Linden, bitte, ihr Sohn hat Recht. Wir müssen einfach mit den Rittern reden."
"Nur so können wir ..."
"Ja, ja, ich kenne eure Argumente. Wenn ihr sie jedoch auch noch verfolgt, dann werden sie euch nicht wohlgesonnener sein."
Malandro warf Tiscio einen Blick zu, der so viel besagte wie, dass jetzt wohl klar war, woher Gunnar seine geschwollene Art zu sprechen hatte.
"Herr Vater, bitte."
Gunnars Vater blickte auf seinen Sohn herunter. Ihre Augen trafen sich und sie hielten einander stand, länger als die Feldstraßler es selbst beim Zusehen erträglich fanden. Schließlich atmete Herr van der Linden hörbar aus.
"Ich sehe, dass ihr nicht davon abzubringen seid. Ich bin mir nicht sicher, ob deine Mutter stolz auf dich wäre oder dich niemals mehr das Haus verlassen ließe, wenn sie davon hören würde. Sitzt auf."

Erneut lief der Rüster-Prototyp durch die Stadt in Richtung Zirklergasse, die Jungs ließen sich jedoch in den Gerberreihen absetzen, um etwas von Herrn Kargerheim zu besorgen.
Sie stürmten in die Konditorgasse und Soldrang öffnete ihnen, ohne viele Worte zu verlieren, die Tür.
"Herr Soldrang, können sie uns sagen, ob Herr Unterschnitt und Herr Kargerheim inzwischen zurück sind?"
"Gewiss, die jungen Herren. Herr Unterschnitt ist bereits seit geraumer Zeit in seinem Arbeitszimmer. Soviel ich weiß, ist Herr Kargerheim aber immer noch in der Gewalt dieser Bande."
Angemessen auf eine solche Information zu reagieren war unter den gegebenen Umständen schwierig. Es war sehr schlimm, dass Herr Unterschnitt Kargerheim nicht aus den Fängen der Ritter hatte befreien können. Es stellte sich die Frage, warum die Ritter ihn überhaupt gefangen hielten. Aber vor allem fehlte er den Jungs. Sie hätten es nicht zugegeben, aber man konnte so viel besser mit ihm sprechen als mit Unterschnitt. Außerdem behandelte er sie besser und erzählte ihnen mehr von dem, was vor sich ging.
Aber auf der anderen Seite brauchten sie ihn gerade jetzt noch in der Gewalt der Ritter, um Onkel finden zu können. Ein gedanklicher Knoten in den Köpfen der jungen Männer, den sie nicht so ohne weiteres auflösen konnten. Deswegen verdrängten sie ihn soweit sie konnten und liehen sich einen Schal, den Kargerheim bei Unterschnitt für kalte Abende liegen gelassen hatte. Sie warteten natürlich auf eine günstige Gelegenheit, was bedeutete, dass Soldrang nicht guckte.

Eine halbe Stunde später trafen sie sich wieder mit Gunnars Vater, der nun auch noch den Schnüffler mit sich herum schleppte.
Inzwischen kannten sie die Strecke zur Genüge und wenn das Festhalten nicht so anstrengend gewesen wäre, hätten sie vermutlich darüber gemurrt, dass sie den Weg ein weiteres Mal an diesem Tag zurücklegen mussten. So murrten sie über das Festhalten, bis sie zur Halle kamen und absteigen konnten.
Den Schnüffler zu füttern und der Spur zu folgen fühlte sich inzwischen ebenfalls wie Routine an und nicht wie das Abenteur, dass sie sich erträumten, wenn ihnen am Sonntag langweilig war. Zuerst trug jeder einmal die lange Dampfmaschine und ging voran, während die anderen sich um den [Rüster] scharrten. Da der Schnüffler beide Hände erforderte, wechselten nicht nur er, sondern auch die Ambarisierungshandschuhe, die Gunnars Vater vorsichtshalber mitgebracht hatte, regelmäßig den Träger. Allerdings mussten diese jedes Mal entladen werden, damit man sich nicht selbst beim Ausziehen ambarisierte, was letztendlich dazu führte, dass nur noch Malandro, Gunnar und Walmo die Ehre zuteilwurde, zu schnüffeln.
Die Spur führte sie parallel zum Gresgorgraben durch die Gebiete Xpochs, die keine Stadtteile waren. Damit näherten sie sich immer mehr Burgdorf, was ihnen seltsam erschien, denn die in sich geschlossene Gemeinschaft der Soldatenfamilien schien ein denkbar ungeeigneter Ort für ein Bandenversteck zu sein. Daher hätte es sie auch nicht überraschen sollen, als sich etwa auf halbem Weg zwei Männer mit altmodischen Repitierarmbrüsten aus dem Schatten lösten und sich ihnen in den Weg stellten. Gegenüber Dampfrepitierern wirkten diese Geräte aus Holz, Metall und Sehne wenig bedrohlich, konnte man jedoch die Spitze des Bolzen über den Lauf funkeln sehen, relativierte sich dieser Vergleich, und man sah schnell ein, dass eine Arbrust vollständig ausreichten, um jemanden in Schach zu halten. Erst nach diesen und ähnlichen Überlegungen fielen ihn die anderen Schläger auf, die sie ähnlich bewaffnet einkreisten.
"Ihr seid hier nicht willkommen," ließ sich einer zu ihrer linken vernehmen.
"Wir müssen mit Onkel sprechen," antwortete Malandro. Er hoffte, dass seine Worte mutiger klangen, als er sich fühlte. Während er sprach, konnte er das schleifen der Kurbeln hören, als Tiscio und Walter ihre Handschuhe noch einmal aufluden.
"Onkel empfängt keine dahergelaufenen Jungen."
"Wir haben schon mit ihm gesprochen. Wir haben noch eine Frage."
"Ich sag‘s noch einmal: Er empfängt euch nicht."
"Es ist wichtig."
"Bist du dumm? Verschwindet einfach." Der Mann wedelte mit seiner Armbrust in die Richtung, aus der die Feldstraßler gekommen waren.
"Wir müssen mit ihm sprechen." Malandro wollte einen Schritt auf den Ritter zumachen, spürte jedoch plötzlich die schwere Hand des Rüsters auf seiner Schulter, die keinen Widerspruch duldete und ihn langsam zurückzog.
"Wir gehen. Jungs, kommt. Es ist unsinnig, wenn wir uns hier prügeln." Herr van der Lindens Stimme klang drängend und sie konnten hören, dass er Angst hatte.
"Wir können die schaffen," flüsterte Tiscio Malandro ins Ohr.
"Meinste?"
"Mit dem [Rüster] und den Handschuhen, haben wir drei auf dem Pflaster, bevor sie was tun können." In diesem Moment wirrten die Motoren des Rüsters, als sich Gunnars Vater herunterbeugt.
"Und die anderen vier schießen uns über den Haufen?"
Die beiden blickten sich noch einmal um und betrachteten die Armbrüste diesmal mit den Augen desjenigen, dem es vielleicht nicht gelang, den Bolzen auszuweichen, anstatt stillschweigend davon auszugehen, dass ihnen die Erfindungen den Hals retten würden.
Wenig später berieten die Feldstraßler ein paar Straßen entfernt erneut, was sie tun konnten.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 04