Der Buttler-Typ machte ihnen auf. Da sie seinen Namen immer noch nicht in Erfahrung hatten bringen können, und sich auch nicht trauten, Kargerheim - und noch viel weniger Unterschnitt - danach zu fragen, würde der steife Mann vor ihnen wohl für immer in ihren Gesprächen diesen Namen tragen.
"Die jungen Herrschaften. Womit kann ich ihnen behilflich sein?"
Malandro schaute kurz auf seine Füße, die versuchten den nicht vorhandenen Staub auf der Treppe hin und her zu schieben.
"Ich ... ich meine wir ... wir wollten zu Herrn Kargerheim, ob er was für uns zu tun hat. Ich meinte, wir wollten ihn fragen." Dann meinte er zu spüren, wie sich Tiscios Blicke in seinen Rücken bohrten. "Und eine Freundin ist entführt wurden, eine Priesterin."
"Es tut mir leid, dies zu hören, aber Herr Kargerheim ist nicht anwesend." Der Buttler sah in die enttäuschten Gesichter der drei Feldstraßler. "Haben die jungen Herrschaften noch einen weiteren Wunsch?"
"Nö ... nein ... Können wir morgen wieder kommen?"
"Herr Kargerheim wird mit hoher Wahrscheinlichkeit morgen Vormittag wieder in Herrn Unterschnitts Wohnung verweilen. Gute Nacht." Ohne weitere Verzögerung schloss er die Tür.
"Ja, gute Nacht." Einem Moment lang standen sie etwas ratlos vor der Tür, verloren aber kein Wort und machten sich wieder auf den Rückweg.
Wenn eine Stadt einen Kater haben konnte, dann war Xpoch an diesem Morgen verkatert. Am Vorabend waren die Arbeiter erschöpft und entnervt nach Hause gekommen. Die fliegenden Händler und Trinkhallen auf dem Weg hatten gute Geschäfte gemacht. Aber die Arbeiter hatten nicht nur das Geld für das Bier weniger in der Tasche, viele hatten auch weniger verdient.
Die Familien, die Frauen und Kinder, die nicht in den Fabriken arbeiteten, aber auch die Handwerker, all jene, die in Xpoch blieben oder auch auf die Schiene angewiesen waren, waren rastlos immer wieder auf die Straße gekommen, hatten mit ihren Nachbarn gesprochen, die Gerüchte und Nachrichten ausgetauscht. Da sich der Rauch des Marktzentrums immer noch mit dem Smog und Dunst über Xpoch vermischte, wurden auch jene, die versuchten, sich vor der Realität zu verbergen, regelmäßig an die Katastrophe erinnert, die sich morgens ereignet hatte. Es gab kein Entkommen vor dem Geschwätz der Xpochler.
Es war also spät geworden, nicht nur für die Feldstraßler. Tiscios Mutter war, wie alle anderen in der Straße, immer noch Wach und hatte auf ihn gewartet und ihn mit Fragen und ihrer Sorge um Vilet so lange wach gehalten, bis er die Augen kaum noch hatte aufhalten können.
Aber gleichgültig, wie verkatert eine Stadt ist, mit dem nächsten Morgen kamen die Lappenkarren und machten ihren Krach. Und damit nahmen Lärm, Gestank und Ärger ihren Lauf. Tiscio brauchte eine Weile, bis er seine Körperteile sortiert hatte, nachdem sein steifer Nacken ihn mit stechenden Schmerzen geweckt hatte. Seine Mutter hatte ihn am Tisch schlafen lassen und ihm nur eine Decke über die Schultern geworfen. Mit einem Fluch reckte und streckte er sich und brachte wieder Gefühl in seine Glieder. Aus dem Gästezimmer, wo seine Familie schlief, kam sofort ein Rüffel: "Hetrados hört alles." "Tschuldigung, Mutter."
Bevor er sich noch mehr Gemeckere anhören musste, verließ er schnell die Wohnung und wusch sich an der Pumpe zwei Häuser weiter. Eigentlich hätte er sich für die Schule bereit machen müssen, er konnte aber nur an Vilet denken und dass er dringend wieder zu Kargerheim erscheinen sollte. Alleine wollt er allerdings auch nicht gehen, weswegen er Gunnar aus dem Bett klopfte.
Sie ließen sich viel Zeit auf dem Weg zur Konditorgasse 23a. Nicht nur, weil sie die Zeit hatten. Vor allem aber war es Gunnar, der sie furchtbar mit seinen schlurfenden Schritten aufhielt. Normalerweise hätte ihn seine Mutter noch fast eine halbe Stunde schlafen lassen, aber Tiscios Gehämmere hatten sie genötigt, ihn aus dem Bett zu werfen. Außerdem schwänzten sie den Unterricht und die Strafe dafür würde sicher nicht auf sich warten lassen.
Es war vielleicht zehn Uhr, als sie ihr Ziel erreichten. Tiscios zaghaftes Klopfen zeigte keine Wirkung, so dass er erneut klopfte. diesmal vielleicht ein wenig zu laut. Der Buttler-Typ öffnete die Tür, die linke Augenbraue hochgezogen. "Die jungen Herrschaften. Einen guten Morgen. Wie kann ich ihnen behilflich sein." Seine Stimme war wie immer so steif wie seine Haltung. Gunnar, der etwas besser darin war, die Untertöne mitzubekommen, meinte jedoch, einen leicht genervten Klang hören zu können. "Guten Morgen." Tiscio versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht. "Sie haben gesagt, dass Herr Kargerheim heute wieder da wäre?" Tiscio hatte schon harten Männern mit angeschliffenen Glasscherben gegenübergestanden. Verdammt, er hatte sogar ohne eine Träne zu vergießen seinem Vater standgehalten. Aber dieser Buttler-Typ verunsicherte ihn sogar mehr als Unterschnitt selbst. "Soll ich die jungen Herrschaften melden?" "Ähm, ja, bitte." Er konnte sich gerade noch davon abhalten, "Wenn es ihnen nichts ausmacht," hinzuzufügen.
Wenig später saßen sie in dem ihnen bereits vertrauten Zimmer. Diesmal standen keine Kekse auf dem Tischchen und auch der Panas blieb aus. Gerade als sie sich gesetzt hatten, betrat Kargerheim den Raum. Er hatte seinen Dampfarm nicht angeschnallt, zwei Finger seiner linken Hand steckten in der Uhrtasche seiner Weste. Er hielt sich aufrecht, steif, und die beiden Jungs hatten Schwierigkeiten den jovialen Mann zu erkennen, mit dem sie im Ingen die Häuser durchsucht hatten.
"Ich habe gehört, dass ihr gestern schon hier gewesen seid. Müsstet ihr nicht heute Morgen in der Schule sein?" Gunnar grummelte kaum hörbar etwas unverständliches. Aber auch Tiscio brachte keine Antwort hervor. "Was ist es nun, das euch hierher bringt?" Er war nicht unfreundlich, aber seine Stimme hatte inzwischen diesen bestimmten Unterton, den er von den Bertis kannte, wenn sie die Feldstraßler fragten, was sie angestellt hatten.
"Raus mit der Sprache."
Tiscio stand auf und stellte sich gerade so vor den Sessel, wie er sich in der Schule neben seine Bank gestellt hätte. "Wir wollten fragen, ich meine wir Feldstraßler wollten fragen - die anderen mussten zur Arbeit, deswegen sind nur wir zwei heute hier - also, wir wollten fragen, ob wir wieder für sie Arbeiten können." Er hatte bei seinen Sätzen nicht gewagt den älteren Mann anzusehen. Als er ihn nun mit einem Ruck anblickte sprudelten die nächsten Worte einfach aus ihm heraus: "Außerdem ist Vilet verschwunden. Vilet Freifrieder, eine Priesterin, bei der ich und meine Familie wohnen." Schnell wandte er seine Augen wieder ab. So sah er nicht, wie die Neugier gleich eine kleine Flamme in den Augen Kargerheims aufblitzte.
"Diese Priesterin. Ich nehme an, dass es sich bei ihr nicht um eine Geweihte des Hetrados handelt." Erst nachdem Tiscio genickt hatte, bemerkte er, dass Kargerheim keine Frage gestellt hatte.
"Welchem Glauben folgt sie?"
"Ich weiß nicht, wie sich der nennt. Naja, eigentlich sagt sie auch immer, dass sie keine Priesterin ist. Trotzdem sitzt sie im Tempelbezirk und hilft Leuten."
"Und an was glaubt sie?"
"Naja, irgendwie, dass sie die Frühlingskönigin ist, und dass unsere Freundin Walde irgendwann die Frühlingskönigin sein wird. Und irgendwie glaubt sie nicht an [Götter] sondern nur an irgendeine Macht."
"Eine seltsame Religion. Aber ich habe schon seltsameres gehört. Nun gut." Er schien zu überlegen. "Du sagtest, dass sie hilft. Was tut sie genau."
"Mhm, ja, sie redet mit den Leuten. Sie macht Panas. Ich weiß nicht. Irgendwie gibt sie Ratschläge. Aber irgendwie sind das keine Ratschläge, wissen sie?"
"Ja, ich glaube, ich weiß." Kargerheim ging zum Kamin und lehnte sich gegen das Sims. "Tatsächlich habe ich schon von der Frühlingskönigin gehört. Es scheint eine Art Naturkult zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Priesterin sich nach Xpoch verirrt. Warum glaubt ihr, dass sie verschwunden ist?"
"Sie war gestern den ganzen Tag nicht an ihrem Platz und ist auch nicht zurückgekommen. Außerdem sind wir vorgestern überfallen worden. Ich dachte, dass wäre was mit unserer Bande gewesen, weil wir da was dummes gemacht hatten und die Typen, die bei Vilet in der Wohnung waren von den Rittern kamen, aber jetzt ist Vilet weg und sie hat nicht geglaubt, dass die hinter mir her waren. Und jetzt ist sie weg."
"Langsam. Immer mit der Ruhe. Was meinst du damit, dass ihr überfallen worden seid."
Und so erzählte Tiscio die ganze leidige Geschichte mit der Sache vor der Bibliothek und wie sie zu Vilet gekommen waren bis Kargerheim ihm auch die kleinste Information entlockt hatte.
"Und eigentlich wollten wir wirklich nur wegen eines neuen Jobs vorbeikommen. Aber jetzt war halt die Sache mit Vilet."
"Das ist eine interessante Geschichte. Derzeit gibt es jedoch nicht viel, was ich für euch tun kann, weder für eure Freundin, noch gibt es derzeit einen Job. Aber vielleicht ergibt sich demnächst etwas. Sagt mir Bescheid, wenn ihr noch etwas erfahrt. Versucht euch zu erinnern, wer vielleicht noch etwas wissen könnte. Oder ob es etwas gibt, dass euch einen Hinweis geben könnte."