Die Brennerbande, Teil 52


Auf dem Weg zu Schikmo begegneten sie mehreren Brennern, die sie mit feindlichen Blicken taxierten. Aber der Weg zur Arbeit war schon immer von allen Feindseligkeiten ausgenommen gewesen. Zu groß war das Risiko, sich selbst zu verletzen und seinen Job zu verlieren. Es gab ein paar Schulterrempler, nichts, was man nicht auch auf den Schienen erlebte.
Dennoch wurde diesmal ihr Weg nicht von Pfiffen begleitet, so dass Schikmo, als er die Tür öffnete, sie in ungespielter Überraschung ansah.
"Was wollt ihr Feldratten denn hier?"
Malandro streckte unwillkürlich die Hand aus, um Tiscio zurückzuhalten. Dieser ballte die Fäuste zusammen, bewegte sich ansonsten jedoch nicht. Skimir lehnte sich noch außer Atem gegen die Flurwand. Es war Walter, der mit ruhiger Stimme antwortete.
"Wir wollen es wieder gut machen."
"Ihr wollt was? 'Wieder gut machen'?"
"Das geht einfach nich'. Verstehst'e? Wenn wir uns prügeln ist das Grütze, aber die Ritter?"
"Was is mit den Rittern?"
Skimir mischte sich ein: "Du bist doch zu ihnen gegangen."
"Was hat das damit zu tun?"
Nun war es schließlich an Tiscio, den Mund aufzumachen: "Ein paar Ritter haben meine Familie angegriffen."
Für einen Augenblick war Schikmo sprachlos. Schließlich prustete es aus ihm heraus: "Ihr glaubt, dass Onkel die wegen mir geschickt hat?"
"Warum sonst?"
"Niemals. WIR haben uns immer an die Gesetze gehalten!" Dabei fiel sein Blick auf Skimir.
"Außerdem haben uns gleich vorher ein paar von euch aufgelauert."
"Na und? Was erwartet ihr? Das wir das," er hob seine verkrüppelte Hand, "vergesssen?"
Es wurde still auf dem Hausflur, während die Feldstraßler auf die Hand starrten. Malandro lenkte schließlich ein: "Du hast recht. Deshalb sind wir hier. Wir wollen das wieder gut machen."
"Und wie wollt ihr das machen? Mir einen besseren Platz zum Betteln suchen?"
"Wir haben uns überlegt, ich meine, Tiscio, Walter, Walmo, Skimir und ich, wir wollen dir was zahlen."
Skimir grummelte, aber Walter fügte hinzu: "10 Groschen die Woche."
"Ja, zwei von jedem von uns." Tiscio war zwar noch nicht über das Thema mit den Rittern hinweg, aber er wollte sich wenigstens von den Prügeln auf der Straße befreien.
"Zehn? das is ja fast mein Lohn!"
Die Feldstraßler blickten Schikmo erwartungsvoll an. Dieser war jedoch noch nicht überzeugt. "Für wie lange?"
"Wir dachten, ..." Malandro blickte seine Freunde an, "wir dachten so zwanzig Jahre."
"Mhm, ich machs." Er spuckte in seine gesunde Hand und die Feldstraßler taten es ihm gleich. Nacheinander schlugen sie ein. "Frieden?" fragte Tiscio, als er an der Reihe war. Schickmo nickte "Frieden."
Tiscio kramte in seiner Hosentasche und gab Schikmo das Abzeichen. "Das hatte einer von den Angreifern gestern Abend."
Schikmo starrte entsetzt auf die Münze. "Das hat nichts mit mir zu tun. Ehrlich. Die sind nicht deswegen," ein Blick auf die Hand, "gekommen. Du musst mir glauben." Tiscio nickte, war aber nicht überzeugt. Malandro lenkte ihn jedoch ab, indem er seine Hand ausstreckte. Nacheinander zählten die Freunde jeweils zwei Groschen in die Hand. "Nächste Woche wieder." Damit überreichte er dem Brenner das Geld. Schikmo nickte und beobachtete sie, wie sie die Treppe hinuntergingen.

Auf der Straße angekommen blickten die Freunde sich grimmig an. Zwei Groschen die Woche taten weh, doch Prügel schmerzten mehr. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren machten sie sich auf den Weg zur Arbeit. Als sie um die Ecke bogen und die Drehtür der Schienenstation bereits vor sich sahen, wurde die Stadt von einer ohrenbetäubenden Explosion erschüttert. Unwillkürlich zogen sie die Köpfe ein und duckten sich. Ein paar der schlechteren Fenster klirrten und zerbrachen. Dann war es für einen Augenblick lang still, bis die ersten Kinder zu Brüllen anfingen. Die ersten Erwachsenen, die nicht in den Fabriken oder andernorts beschäftigt waren, kamen auf die Straße gestürmt. einige wankten, von billigem Fusel betäubt. Die Feldstraßler rannten zur Schienenstation, durch die Absperrung, die Treppen hinauf. Sie drängten sich an anderen Fahrgästen vorbei bis sie die Plattform erreichten und sich einen einigermaßen passablen Überblick über die Stadt verschaffen konnten. Anfänglich konnten sie nichts sehen, Tempelbezirk und Universität lagen immer noch oberhalb der Station. Dann sahen sie Rauch hinter den alten Gebäuden aufsteigen. Keine einzelne Rauchfahne, sondern eine überquellende Wolke, die sich immer höher und weiter in den Dunst der Stadt ausbreitete. Es war ihnen nicht sofort klar, woher dieser Rauch kam, aber schließlich wurden die Stimmen in der Station immer lauter, die "Markt" riefen. Der große Markt, das Zentrum Xpochs. Der Ort, zu dem alle Schienen fuhren. Das Marktzentrum war für die Wohlhabenden zu einem Symbol für die Macht und die Größe des Königreichs geworden. Für weniger Glücklichen war es ein Ort der Wunder, an dem man Dinge aus der weiten Welt sehen konnte, die man sonst nirgendwo zu Gesicht bekam. In das Marktzentrum zu gehen war für diese ein Ereignis, besser als der Besuch im Museum. Fast wie eines der großen Feste. Man zog sich die besten Sachen an, steckte sich Geld ein, dass man nicht besaß, und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie wenig man dorthin gehörte. Jeder der Feldstraßler war schon einmal durch die mit Marmor verkleideten Passagen und Geschäftsstraßen gegangen und hatte dabei vor Ehrfurcht aufstehendem Mund die Auslagen in den Läden betrachtet. Sie waren alle Anhänger Hetrados, aber das Marktzentrum war in ihren Köpfen genauso heilig, wie jeder Tempel, den sie jemals besucht haben mochten.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 03