Die Brennerbande, Teil 36


Als Skimir den Käfig anleuchtete, preßten sich dort mehrere kleine Gestalten an die hintere Wand, weg vom Licht.
"Alna?" Walmo, Skimir und Malandro rannten in die Ecke und blickten gebannt auf die schmutzigen Gestalten. Ein kleines Mädchen bedeckte ihre Augen mit den Händen, versuchte aber durch die Finger zu blinzeln.
"Nimm die Laterne runter, du Sumpfling." Malandro gab Skimir einen Stoß, den dieser nicht unbeantwortet ließ, aber dennoch die Laterne senkte.
"Mal? Kim?" Die Stimme des Mädchens war schwach, trotzdem konnten sie sie deutlich als die von Alna erkennen.
"Alna!" Walmo griff durch die Gitter nach ihrer Freundin, während die beiden anderen sich am Schloß zu schaffen machten. Erst ruckelten sie, dann der Versuch, es mit einem Hammer von der Werkbank aufzuschlagen, bis Kargerheim sie sanft zur Seite schob.
"Ich denke, das ist eine Aufgabe, derentwegen ich fast verzeihen könnte, dass ich meinen Arm verloren habe." Er packte das Schloß mit seinem Dampfarm und zerdrückte den Meschanismus. Die Felstraßler wußten, dass die mechanischen Gliedmaßen oft stärker waren, als das, was zuvor an ihrer Stelle gehangen hatte. Es war jedoch ohne Frage sehr beeindrucken, und ein wenig beängstigend, die rohe Kraft in Aktion zu sehen. Walmo nahm unwillkürlich einen Schritt Abstande vom Käfig und damit auch von Kargerheim.
"Kommt, wir bringen euch nach Hause." Zuerst zögernd dann aber doch mehr als bereitwillig kamen die vier Kinder, die in der Zelle gesessen hatten, heraus. Walmo nahm Alna in den Arm und drückte sie an sich, fast als wäre sie seine Schwester. Kargerheim und Malandro nahmen die anderen drei Kinder an die Hand.
"Malandro," Kargerheim wandte sich zu dem jungen Feldtraßler um und zog dabei einen Brief heraus. "Bitte bring dieses Schreiben zur Metrowacht am Brillenwall. Du weißt, wo die sich befindent?" Malandro nickte. "Traust du dir das zu, allein durch das Ingenfeld zu laufen?" Wieder nickte Malandro. "Komm mit den Männern der Metrowacht so schnell es geht zurück." Ein letztes Mal nickte er, dann sah er sich nach Walmo um, der Alna im Arm hielt und nach Skimir, der in der hintersten Ecke stand und sich die Hand vor den Mund hielt.
"Was ist Kim?" Mit dem Brief in der Hand drängelte sich Malandro an dem alten Berti vorbei hin zu seinem Freund. Erst zwei Schritte von ihm entfernt, konnte er erkennen, dass Skimir über einem Sack stand, den er aufgemacht haben mußte, denn Skimir hatte ihn bisher verdeckt. Von ihm ging ein ekliger Geruch nach verrottendem Fleisch aus, den er zuvor noch nicht wahrgenommen hatte. Als er endlich hineinblicken konnte, wußte er, warum. Und er wußte, woher die Leichenteile stammten, die man im Gresgorgraben gefunden hatte. Er wußte, dass sie Glück gehabt hatten, Alna so schnell zu finden. Und er wußte, dass sie diesen Unmenschen, der Kinder zerstückelte und die Teile achtlos in einen Wasserdichten Sack warf, zur Strecke bringen mußten.

Mit einem Ruck riss er sich los und rannte aus dem Raum und aus dem Haus. Als er bei Tiscio anlangte, hielt er an, um ihm ein paar Worte zuzuwerfen, sein Mageninhalt kam ihm jedoch zuerst aus dem Mund. Erst als er seinem Freund sein Grauen vor dem Raum im Keller begreiflich gemacht hatte rannte er los. Malandro wußte nicht, warum Kargerheim gerade ihm den Auftrag erteilt hatte, denn Skimir und Tiscio waren beides bessere Läufer, aber er gab sich Mühe. Er rannte, wie er noch nie im Leben gerannt war, weg von dem Verlies, weg von den Gliedmaßen und dem schrecklichen Geruch, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr verlassen würde. Und die ganze Zeit über liefen ihm die Tränen das Gesicht herunter und zogen eine helle Bahn durch sein dreckiges Gesicht. Auch als er dem wachhabenden Berti den Brief überreichte und den Spott und die Sticheleien über sich ergehen hatte lassen, die Seinesgleichen auf Wachen immer zu befürchten hatten, weinte er noch und konnte erst aufhören, als sie bereits auf dem Rückweg waren.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 02